Eine Stimme für die Vielfalt - Interview mit Stefanie Prochazka
Heißt es nun Sahne oder Rahm? Beides ist richtig - und beides ist hochdeutsch! Gemeinsam mit dem Bund Bairische Sprache will der Landesverein aufklären: Nicht nur die Dialekte unterscheiden sich, auch die Hochsprache ist regional vielfältig. Sprechwissenschaftlerin Stefanie Prochazka hat an unserer neuen Publikation „Blaukraut bleibt Blaukraut“ mitgewirkt. Sie erzählt, wie sie zu ihrem Herzensthema kam.
Frau Prochazka, wo sind Sie groß geworden?
Ich bin in Fischbachau aufgewachsen, in einem Haus, das mein Ur-Opa selbst gebaut hat. Er hat im Garten einen Weiher angelegt, mit einer kleinen Insel drin. Das ganze Grundstück hat damals weniger gekostet als heutzutage ein einziger Quadratmeter. Ich bin meinem Ur-Opa sehr dankbar, dass er damals beschlossen hat, genau an diesem Fleck Erde sein Haus zu bauen. Nach 13 Jahren Berufsausbildung und Studium bin ich dort mit meinem Freund wieder eingezogen und unser Sohn wächst nun gemeinsam mit uns und seinen Großeltern auf.
Welchen Beruf haben Sie erlernt?
Ich habe in Halle an der Saale Sprechwissenschaft im Master studiert und arbeite jetzt hauptsächlich als Sprachtherapeutin in einer geriatrischen Reha-Klinik. In Halle habe ich aber auch ein anderes Herzensthema, gefunden. Ich wusste ja, dass die Leute dort anders reden als daheim, war aber trotzdem sehr überrascht, dass ich selbst sofort als Süddeutsche entlarvt wurde, wenn ich dachte, gerade schönstes „Schriftdeutsch“ zu reden.
Woran lag das?
Eine Antwort darauf bekam ich im Studium – ich war quasi an der Quelle der korrekten deutschen Aussprache und lernte also vorgeblich richtiges Hochdeutsch, zum Beispiel KöniCH statt KöniG, HunT statt HunD, CHemie statt Kemie, NoWember statt NoFember. Ich muss zugeben, dass ich sehr verwirrt war. Wenn ich so daheim in Bayern sprechen würde, würden mich alle Verwandten und Bekannten anschauen, als wäre ich ein anderer Mensch. Alle sonstigen Einheimischen würden mich nicht für eine gebürtige Süddeutsche halten. Aber hieße das wiederum nicht, dass alle Süddeutschen kein richtiges Hochdeutsch sprechen können? Ich dachte mir: Das kann doch nicht sein!
Was haben Sie mit dieser Erkenntnis getan?
Ich habe die „Süddeutsche Standardaussprache“ zum Thema meiner Bachelorarbeit gemacht. Dieses Interesse führte mich durch einen sehr glücklichen Zufall über einen Instagram-Kommentar zum Bund Bairische Sprache und zum Landesverein. Wir setzen uns dafür ein, dass die Menschen erfahren, dass es für das Deutsche nicht nur eine richtige Aussprache gibt, an der man sich zu orientieren hat, sondern dass die Standardsprache im Vergleich zur Rechtschreibung keinen einheitlichen Regeln unterliegt. Je nach Großregion klingt sie also ein bisschen anders. Das ist nicht falsch oder gar schlimm und schon gar kein Verständigungsproblem.
Glauben Sie, dass das die Menschen in Bayern wissen?
Viele nicht. Vor allem junge Menschen legen ihre Standardsprache leider immer häufiger ab. Ich bin sehr gespannt, wie mein Sohn einmal sprechen wird. Viele Kinder reden bis zum Kindergarten Dialekt, ab dem Kindergarten dann das vorgeblich astreine Hochdeutsch, ganz ohne regionale Färbung. Ich will zumindest versuchen, ihm den Dialekt zu erhalten. Generell freue ich mich darauf, ihm die Dinge weiterzugeben, die ich als Kind erfahren habe.
Welche Dinge meinen Sie?
Zum Beispiel möchte ich das Singen und Musizieren in der Familie weitergeben. Ich selbst bin sehr musikalisch aufgewachsen. Es war und ist immer Musik im Haus. Schon als Kind sang ich in einem Dreigesang, und nirgends lernt man das genaue Hinhören, eine sichere Intonation und das Halten einer Stimme so gut wie in einem regelmäßig probenden Ensemble. Neben der Volksmusik bin ich auch in der klassischen Musik daheim, als solistische Sängerin und Chorsängerin. Außerdem möchte ich vorleben, dass zum Beispiel Weihnachten und Ostern nicht nur aus Geschenken, Schokoladeeiern und aufwendigen Essen bestehen, sondern dass es religiöse Feste mit Inhalt sind. Häufig sind diese Feste mit weiteren Bräuchen verbunden wie zum Beispiel dem Kirta-Hutschen oder den Klöpflern in der Adventzeit. Ich befürchte, dass in der heutigen Zeit viel von dem verloren geht, was ich noch kennenlernen durfte.
Warum sind Ihnen diese Bräuche und der Dialekt wichtig?
Viele die herziehen, erkennen den Wert der hiesigen Kultur nicht, aber das trifft auch auf viele einheimische junge Menschen zu, die hier aufwachsen. Antoine de Saint-Exupéry schreibt dazu: „Es muss feste Bräuche geben.“ Und als der kleine Prinz fragt „Was heißt fester Brauch?“, antwortet der Fuchs: „Auch etwas in Vergessenheit Geratenes. Es ist das, was einen Tag vom anderen unterscheidet, eine Stunde von der anderen. Sonst wären alle Tage gleich.“ Zum Brauch gehört die Vertrautheit, die Verlässlichkeit und der gleiche Zeitpunkt. Ich verbinde unglaublich viele schöne Erinnerungen mit diesen Festen und Bräuchen. Wenn man sie nicht kennt, fehlt einem nichts. Immer weniger Menschen praktizieren diese Bräuche, wie auch immer weniger Menschen Dialekt oder ihr regionales Hochdeutsch sprechen. Diese Dinge geraten zuerst aus der Mode und dann in Vergessenheit. Mir sind sie zum Vergessen zu schön.
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