So retten wir unsere Dialekte - Interview mit Ludwig Zehetner
Mundartforscher, Professor für Dialektologie und Experte für bairisches Deutsch
Zeitungen feiern den Sprachwissenschaftler Ludwig Zehetner als Dialekt-Papst. Seit Jahrzehnten erforscht der Professor das Bairische. Und er setzt sich unermüdlich für die Wertschätzung der Mundarten ein. In unserem Interview sagt der Verfasser des Lexikons „Bairisches Deutsch“ und vieler anderer Werke zur Mundart, wie er sich gute Dialektpflege vorstellt.
Herr Zehetner, wie geht es dem Bairischen?
Das Bairische ist eindeutig in Gefahr. Vor allem, wenn man die jüngere Generation betrachtet. Es ist ein Trauerspiel. Selbst meine eigenen Enkelkinder sprechen wenig Dialekt. Es sind nicht nur die Wörter, auch Färbungen gehen verloren. Ich höre immer wieder zum Beispiel das Wort „gesehen“ dreisilbig und mit stimmhaftem „s“. Das stört mich sehr. Gegen einzelne Wörter kämpfe ich seit Jahren. Völlig sinnlos! Bei „Tschüß“ habe ich es aufgegeben. Jetzt ist es „lecker“. Das ist in aller Munde. Ist halt heutige Sprache. Dass Dialekt rapide abnimmt, ist leider nicht zu leugnen.
„Die wahre Heimat ist die Sprache, wenn man die Sprache verlässt, verlässt man die Heimat.“ – Ein bekanntes Zitat des bayerischen Schriftstellers Oskar Maria Graf. Das heißt, der Verlust des Bairischen würde bedeuten, auch ein Stück Heimat zu verlieren. Es geht beim Dialekt also ums Ganze, oder?
Das ist zweifellos eine kluge Aussage von Oskar Maria Graf. Das stimmt einfach. Die Sprache ist eine Heimat und gehört zu den geistigen Wurzeln unserer Existenz.
Apropos Sprache: Ist das Bairische eine Sprache oder ein Dialekt?
Das ist letzten Endes nicht klar zu beantworten. Manche argumentieren, es sei ein Dialekt, da es keine festgelegte Rechtschreibung beim Bairischen gebe. Das ist richtig, trifft aber auch auf viele indigene Sprachen in Südamerika und Afrika zu, die trotzdem als Sprachen gelten. Ein zweites Argument lautet, dass es natürlich eindeutig eine Unterabteilung des Deutschen ist: Bairisch ist Deutsch. Und Deutsch ist eben auch Bairisch, genau wie es Plattdeutsch, Hessisch, Sächsisch und so weiter sind. Die Frage, ob Sprache oder Dialekt, wird gerade heftig diskutiert vor dem Hintergrund einer Initiative, das Bairische unter Schutz zu stellen.
Als Sprache definiert, könnte man es als EU-Minderheitensprache schützen. Dazu hat der Förderverein Bairische Sprache und Dialekt beim Landtag einen Antrag gestellt. Braucht’s das? Würde das dem Bairischen helfen?
Nachdem ich von vielen Seiten gebeten worden bin, doch auch meine Unterschrift zu leisten, habe ich sie geleistet. Obwohl ich dazugeschrieben habe: Ich glaube nicht, dass es etwas bringt. Es schadet aber auch nix, sagen wir mal so. Vielleicht stärkt es das Selbstbewusstsein der Dialektsprechenden ein bisschen. Aber steuern kann man die Sprachentwicklung damit nicht.
Warum glauben Sie, dass es nichts bringt?
Was bringt das schon, wenn es irgendwo festgeschrieben steht? Was hat das für Konsequenzen? Keine! Meiner Ansicht nach hat es keine direkten positiven Auswirkungen. Oder sehen Sie da welche?
Sprache ist etwas Lebendiges und damit der Veränderung unterworfen. Könnte Schutz auch bedeuten, zu konservieren, gar zu musealisieren?
Sprache ist das Ausdrucksmittel lebendiger Menschen. Sie lässt sich nicht normieren und steuern. Veränderung geschieht durch viele Individuen, die sie praktizieren. Sprache wandelt sich. Sonst würden wir heute noch reden wie Karl der Große vor 1200 Jahren.
Wie kann man dann verhindern, dass das Bairische verloren geht? Wie sieht kluge Dialektpflege aus?
Man muss bei den Kindern ansetzen. Und zwar bei den unter Zwölfjährigen. Eltern und Lehrkräfte sollten ihnen vermitteln, dass dialektnahes Sprechen kein schlechtes Sprechen ist, sondern eine Möglichkeit.
Genau das Gegenteil wurde den Kindern lange zu verstehen gegeben. Man sollte „richtiges Deutsch“ sprechen.
Heute muss man dagegen das Bewusstsein stärken, dass man mit dem Dialekt nicht im Abseits steht.
Tatsächlich erfährt das Bairische mittlerweile mehr Beachtung, auch im nicht-bayerischen Raum: Begriffe wie Obacht, Oha, Servus, Mia san mia werden auch von norddeutsch Sprechenden gebraucht. Und man wird nicht mehr schräg angeschaut, wenn man das „r“ rollt.
Ich kann’s gar nicht anders! Aber Sie haben recht: In der Tat hat sich zum Beispiel die Begrüßung „Servus“ in jüngster Zeit stark verbreitet. Auch Leute, mit denen ich nicht per Du bin, sagen „Servus“ zu mir. Das setzt sich immer mehr durch.
Seit vielen Jahren erklären Sie in Artikeln und Büchern Dialektbegriffe und wecken die Liebe zur Mundart. Ihr Lexikon gibt es mittlerweile in der fünften Auflage, von Ihrer Dialektserie in der Mittelbayerischen Zeitung erscheint demnächst die 336. Folge, die Resonanz ist ungebrochen. Das Bairische scheint kein Imageproblem mehr zu haben. Da könnte man auch ein bisschen zuversichtlich sein, oder?
Wir müssen uns trotzdem kümmern. Und zwar um die frühe sprachliche Prägung der Kinder. Die erfolgt großteils über Medien – also Filme und Hörbücher. Fast jedes Kind hört sie heute täglich und imitiert unbewusst, was in diesen Sprachkonserven drin ist. Und das ist ganz selten regionalsprachlich.
Anders, als wenn Geschichten mündlich erzählt werden…
Ja eben. Das passiert Gott sei Dank auch noch. Wer Dialekt erhalten und pflegen will, sollte ihn schon an die ganz Kleinen weitergeben. Das geht mit Filmen wie Pumuckl und mit Hörbüchern wie Doctor Döblingers geschmackvollem Kasperltheater, was der Landesverein ja zum Glück für die Dialektpflege entdeckt hat.
Welche Rolle spielen Kabarett und Musik bei der Dialektpflege? Bayerische Rapper zum Beispiel implementieren Dialekt in die Jugendkultur – und wie Sie sagen, geht es ja gerade um die Jugend.
Es gibt etliche Rapper, die mundartnah singen. Zum Beispiel BBou aus der Oberpfalz; BBou, das steht für Boarischer Bou. So etwas ist Dialektpflege mit modernen Mitteln. Das ist eine positive Entwicklung. Auch Kabarett ist ganz wichtig, oder Liedermacher, wie etwa die Niederbayerin Monika Drasch, die immer wieder alte mundartliche Lieder ausgräbt. Ich vermute aber, dass die Wirkung trotz der Medienpräsenz und der Auftritte vor großem Publikum begrenzt bleibt. Es steht zu befürchten, dass der Dialekt dabei mehr als Kuriosität aufgefasst wird und nicht als Selbstverständlichkeit.
Kränkelt ein Dialekt besonders?
Die Entwicklung geht ganz klar auf Kosten des Oberpfälzischen, das immer noch von den Oberbayern und Niederbayern belächelt wird, vor allem wegen der berühmten gestürzten Diphthonge "ou, äi". Ich bin gebürtiger Freisinger – also Oberbayer – und vor 60 Jahren nach Regensburg gekommen. Ich fühle mich berufen, für das Oberpfälzisch-Nordbairische eine Stange zu brechen. Diese Unterabteilung des Bairischen verdient es, besonders gestützt werden.
Das Gespräch führte Angelika Sauerer.
Unser Dialektheft "Blaukraut bleibt Blaukraut" kann übrigens kostenfrei in unserem Shop heruntergeladen werden.
Wenn Sie solche Beiträge nicht verpassen wollen, melden Sie sich für unseren Newsletter an!