„Die goldene Energie alter Häuser“ – Ein Interview mit Sabine Reeh
BR-Journalistin und Erfinderin der Reihe „Traumhäuser“
Mehr als zwei Millionen Zuschauer haben die ersten Filme der neuesten Staffel von „Traumhäuser“ im Bayerischen Fernsehen gesehen. Die siebte Staffel der Erfolgsreihe zeigt, wie Bauherren ihre Wohnträume in bestehenden Häusern verwirklichen. Was sie eint, ist der Respekt vor Traditionen und das Bestreben, Ressourcen zu schonen. Wir haben mit der BR-Journalistin Sabine Reeh gesprochen. Sie hat die Reihe erfunden.
In einer Beschreibung der Serie „Traumhäuser“ steht der Satz: „Baukultur bildet das Selbstverständnis einer Gesellschaft ab.“ Welches Selbstverständnis erkennen Sie in den Häusern, die Sie in den zurückliegenden acht Jahren begleitet haben?
Im Mittelpunkt stehen die Wünsche der Bauherren: Wie möchten sie leben? Und wie können diese Vorstellungen in Architektur umgesetzt werden? Im Hintergrund, aber nicht zweitrangig, schwingt immer eine baupolitische Dimension mit. Wir schauen, was die Gesellschaft gerade bewegt. Es gab zum Beispiel Themenschwerpunkte zur Energieeffizienz, zum Wohnen im Alter oder zu besonderen Wohngemeinschaften. Wir möchten Fälle abbilden, die nicht nur für individuelle Bauherren interessant sind, sondern relevant für die Gesellschaft. So kamen wir auf das Bauen im Bestand.
Warum ist das wichtig?
Es gibt den Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum für Familien, nach Nachverdichtung und schonendem Umgang mit Ressourcen. Ein anderer Aspekt ist die Wiederbelebung von Ortskernen im ländlichen Raum. Es ist wichtig, dass kleine Orte ihre Jugend behalten und nicht ausbluten. Hier ist das Bauen im Bestand ein wichtiger Faktor. Unser Ansatz geht dabei über reine Sanierungen hinaus. Wir wollen zeigen, wie aus alten Gemäuern etwas Modernes, Zeitgemäßes entstehen kann – ob aus gesichtslosen 60er-Jahre-Bauten oder einem denkmalgeschützten Stadel. Übrigens ist der Denkmalschutz nach meinem Eindruck in den letzten Jahren toleranter geworden.
Sehen Sie einen Wandel weg von einer Abriss- und Wegwerfgesellschaft hin zu einem nachhaltigeren Umgang mit vorhandener Substanz? Oder ist es eher so, dass Sie den Schwerpunkt setzen, um den Prozess voranzubringen?
Das Schöne ist, dass es sich in der Mitte trifft. Wir haben für uns beschlossen, dass das Thema wichtig ist. Und haben dann fast schon mit Erstaunen festgestellt, das es viel mehr junge Leute gibt, die auf dem Land bleiben wollen, als wir dachten. In meiner Generation war es umgekehrt: Alle wollten weg, in die Stadt. Das Bewusstsein für die Heimat und für die Vorteile des Lebens auf dem Land hat sich komplett gewandelt. Ein Beispiel aus unseren Filmen: Dem jungen Paar, das sich den Jurastadel auf dem Hof der Eltern ausbaute, ging es um Tradition und Heimat und um das, was die Eltern geschaffen haben. Oft helfen beim Bau dann alle mit: Onkel, Opa, Vater, Freunde, Nachbarn. Da zeigen sich gesellschaftliche Entwicklungen beim Sich-ein-Heim-Schaffen: Familiäre Strukturen und die Dorfgemeinschaft werden wieder mehr geschätzt.
Wie wählen Sie die Projekte aus und ist es beim Bauen im Bestand schwieriger, Teilnehmer zu finden?
Es ist schwieriger, weil es viel mehr Leute gibt, die ein freistehendes Einfamilienhaus bauen wollen. Außerdem gehen zahlreiche Bewerbungen von Projekten ein, die wir nicht für sinnvoll halten. Es geht nicht darum, eine alte Scheune im Landhausstil aufzumöbeln. Es geht um die Seele des Ortes. Es geht auch darum, etwas Sperriges zu erhalten, etwas, das von der Lebenstradition zeugt, die dort stattgefunden hat. Wir suchen Leute, denen es wichtig ist, dass diese Vergangenheit weiterlebt. Bauherren zu finden, die das verstehen, ist nicht leicht. Wir haben genug Projekte und es bewerben sich auch viele. Aber nicht so wie früher, wo wir Hunderte Anfragen hatten.
Im Mittelpunkt stehen Gebäude, bei denen die Nachbarn in Ihren Filmen oft sagen: „Oiso i dad’s abreißn.“
Bauen im Bestand ist noch ein Tabu. Wir hören oft – übrigens auch von unseren eigenen Bauherren: „Ich wäre anfangs nie auf die Idee gekommen, das zu erhalten. Aber dann hat der Architekt gesagt: Schaut doch mal…“ Selbst das super scheußliche 70er-Jahre Einfamilienhaus kann gerettet werden. Die Nachbarn sind immer das Allerbeste: Alle sind sie erst dagegen. Und wenn es dann fertig ist, heißt es: „Ach, so kann man das machen – schön!“ Die Nachbarn symbolisieren den Lernprozess des Zuschauers – und auch meinen eigenen: Ich durchlaufe die gleichen Prozesse. Wir erleben es als Macher mit, dass am Anfang die Vorstellungskraft fehlt und am Ende etwas Wunderbares draus wird. Dabei lernen wir viel von den großartigen Architekten.
Neben dem gestalterischen Aspekt gibt es auch einen emotionalen: Ein Abriss, selbst der eines unschönen Hauses, ist immer auch eine Geringschätzung der Aufbauleistung einer vorhergehenden Generation.
Richtig. Ein Gebäude zu erhalten, hat mit Respekt und Wertschätzung zu tun. Wir benutzen hier auch gerne die Begriffe „Tradition“ und „Heimat“. Es ist Heimat, wenn es der Geburtsort und der Familiensitz ist, und es ist noch mehr Heimat, wenn es sich obendrein um eine regionaltypische Bauweise handelt, wie beim Jurastadel. Da steckt goldene Energie drin.
Goldene Energie?
Goldene Energie sind die immateriellen Werte. Heimatgefühl, Tradition, Erinnerungen: Hier habe ich als Kind gespielt, hier hat mein Opa gesessen, hier will ich auch sitzen. Goldene Energie ist emotional und hat mit persönlichen Erinnerungen und Empfindungen zu tun, aber auch mit dem Leben der Eltern. In den Gebäuden ist die Lebensweise einer Familie konserviert, die man übersetzt in die Jetzt-Zeit für sich weiterführen will. Es geht nicht nur darum, eine alte Mauer zu erhalten, weil da Steine drin verbaut sind – das ist die graue Energie. Es geht darum: Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wo wollen wir hin? Und wollen wir alles zerstören und gleichförmige Häuser bauen? Oder wollen wir erhalten und ein Stück Identität schaffen? Es gibt viele junge Leute, denen das etwas wert ist und die viel Geduld in so ein Projekt stecken. Das wollen wir transportieren und andere inspirieren, es sich auch zuzutrauen.
Warum heißt ihre Reihe „Traumhäuser“? Die meisten denken dabei an Luxus-Villen mit Poollandschaft.
Wir möchten mit unserem Format alle erreichen. „Bauen im Bestand“ ist ein schrecklicher Begriff, oder auch „Nachverdichtung“. Wir brauchen einen Titel, bei dem jeder gern einschaltet. Er darf keine Hürde sein, die an etwas Langwieriges denken lässt. Und tatsächlich geht es ja um Träume. Die Leute bleiben dran, weil sie merken, Träume können auch anders aussehen als die Villa mit Pool. Es geht um den individuellen Traum von Bauherren. Der Traum ist nicht das Teure, Gigantische. Der Traum ist vielmehr das Persönliche. Und was mich immer wieder wundert nach 70 Filmen: Er ist jedes Mal komplett anders.
Sabine Reeh wurde für ihren herausragenden Beitrag zur Baukultur 2009 mit dem Bayerischen Architekturpreis, 2016 mit dem Medienpreis der Bundesarchitektenkammer und 2021 mit dem BDA-Architekturkritik-Preis ausgezeichnet. Die siebte Staffel der „Traumhäuser“ startete am 30. September 2024 und wird jeden Montag um 21 Uhr im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt. Sie finden die Folgen – auch die der vorhergehenden Staffeln – in der Mediathek: https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/traumhaeuser/traumhaeuser110.html
Wer sich mit einem Projekt bewerben möchte, kommt hier zur Ausschreibung: https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/traumhaeuser/traumhaeuser-bewerbung-8-staffel-100.html
Das Gespräch führte Angelika Sauerer.
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