„Eine Renaissance unseres Berufs!“ - Ein Interview mit Dr. Jörg Heiler
Der bayerische Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten
Der Landesverein für Heimatpflege hat mit der Aktion „Abriss des Jahres“ viel Aufmerksamkeit erhalten (z.B. letztens bei Capriccio). Warum ist das Ganze eigentlich so ein großes Problem? Wir fragen einen Architekten, der sich mit dieser Frage bestens auskennt.
Herr Heiler, der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) und der Landesverein haben gemeinsam gefordert, dass die derzeitige „Abreißerei“ ein Ende haben muss. Warum? Wird gerade besonders viel abgerissen?
Gebäude wurden schon immer unnötig abgerissen. Ab den 60er-Jahren hat es aber besonders zugenommen und es hat sich seitdem weiter beschleunigt. Das liegt am Zeitalter, in dem wir leben. Die Prozesse sind so, dass vermeintlich das Herstellen, Verbrauchen und dann das anschließende Wegwerfen wirtschaftlich optimal sind.
Auf eine Person in der Bundesrepublik kommen zweieinhalb Tonnen Bauschutt pro Jahr. Der entsteht vor allem durch diese „Abreißerei“. Demgegenüber wirken die 250 Kilogramm Hausmüll pro Person pro Jahr plötzlich wie ganz wenig. Zum Glück setzt gerade ein Prozess des Umdenkens ein.
Woran erkennen Sie dieses Umdenken?
Zum Beispiel an der Kooperation des BDA mit dem Landesverein. Es äußert sich auch darin, dass bei Architekturpreisen ein immer größeres Augenmerk auf den Umgang mit dem Bestand gelegt wird. Das Umbauen ist auch in den Zeitungen und in den Fachpublikationen wichtiger geworden. Der deutsche Pavillon der 18. Architektur-Biennale in Venedig hieß „Wegen Umbau geöffnet“. Sogar die Bauministerin spricht seit dem letzten BDA-Tag in Nürnberg nicht mehr von 400.000 neuen Wohnungen, die in Deutschland gebraucht werden, sondern betont, dass viel davon im Bestand möglich ist.
Kann man denn ewig umbauen? Haben Gebäude kein Haltbarkeitsdatum?
Man muss natürlich jedes Gebäude einzeln betrachten. Es muss machbar und bezahlbar sein. Aber grundsätzlich, wenn man ein Gebäude pflegt und repariert, ist es unendlich haltbar. Darum muss sich ein Eigentümer eines Gebäudes auch kümmern, das ist eine Verpflichtung. Oft wird auch einfach so entschieden, dass das Gebäude nicht mehr zu erhalten ist, ohne dass man da vor Ort tatsächlich prüft, ob sich nicht doch noch etwas machen lässt.
Wird in Bayern eigentlich mehr abgerissen als anderswo?
Es ist natürlich in allen Bundesländern ein Thema, aber ich denke, in Bayern wird nach wie vor zu viel abgerissen. Die Diskussion ist hierzulande dafür besonders stark, das hat auch mit Akteuren wie Ihnen und uns zu tun. In Bayern gibt es ein Gespür für die schönen Kulturlandschaften und die prächtige überlieferte Bausubstanz.
Aber wir reden ja nicht nur über denkmalgeschützte Gebäude, wir reden auch über Alltagsbauten. Ein ganz großes Thema: Wir verlieren im Moment in ganz Bayern diese Gebäude der 50er Jahre, als auf sehr einfache Art und Weise Wohnungen geschaffen wurden. Indem wir die flächendeckend abreißen, geringschätzen wir die Aufbauleistung einer ganzen Generation. Sinnvoll ist es übrigens auch nicht, man hat ja dort offensichtlich leben können. Und wir können heute ja transformieren, umbauen, weiterbauen.
Erkennen denn alle ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen in der Architektenschaft an, dass wir vor allem mit dem Bestand arbeiten müssen?
Ich glaube die Akzeptanz dafür ist mittlerweile sehr groß. Natürlich gibt es Neubauten, die Sinn machen, die wir brauchen. Man darf keine Ideologie draus machen – das werfen einem manche Kollegen vor. Auch wir im BDA reflektieren bei jedem Einzelfall immer sehr stark, ob jetzt dieser Neubau nötig ist oder ob es nicht doch eine Möglichkeit im Bestand gibt. Das Interesse für das Thema ist jetzt aber viel größer als früher.
Warum wird dann immer noch so viel abgerissen?
Eine Sorge ist oft, dass Baustandards in einem alten Haus nicht eingehalten werden können oder nur mit viel höheren Kosten, also Brandschutz, Schallschutz, Klimaschutz etc. Dabei muss man bei diesen Kosten eigentlich auch die Folgekosten und die Lebenszykluskosten miteinberechnen, dann schaut die Rechnung oft ganz anders aus. Da ist der Bestand dem Neubau rechnerisch plötzlich klar überlegen.
Das andere ist, dass in unserer Konsumgesellschaft das „Alte“ oft noch negativ konnotiert ist. Man will lieber mit seiner Familie in eine neue Wohnung ziehen, in ein neues Haus. Das dreht sich jetzt langsam. Wir müssen das Alte in ein anderes Licht rücken, nicht nur wegen der geschichtlichen Bedeutung. Es ist ja oft sogar so, dass die Materialien bei alten Gebäuden wertiger sind als die heutigen. Auch handwerklich wurde teilweise mit mehr Liebe zum Detail gearbeitet, heute baut Ihnen manches keiner mehr.
Sollten mehr Gebäude unter Denkmalschutz gestellt werden?
Das könnte eventuell die Fördermittel für die Denkmäler, die es derzeit gibt, verwässern. Es ist auch wichtig, dass die Gebäude keine Museumsstücke werden. Wir müssen Häuser transformieren und an unseren heutigen Gebrauch anpassen können, gerade die Alltagsbauten.
Viele Eigentümer leben ja in einer Art Angst vor dem Denkmalschutz, der Ihnen diese Möglichkeit vermeintlich nimmt.
Auch da braucht es ein Umdenken. Ich kann das aber verstehen, hier in Kempten gibt es ein Gebäude aus der Gründerzeit, das war groß in der Diskussion. Ein bekannter Künstler hatte dort sein Atelier und hat auch über Jahrzehnte hinweg Spuren seiner Arbeit hinterlassen. Das Gebäude wurde im Laufe der letzten 120 Jahre weitergebaut, teilweise überformt. Da haben sich die Ämter nicht durchringen können, das unter Denkmalschutz zu stellen, weil es diesen ursprünglichen, „reinen“ Zustand nicht mehr hatte. Aber das sind nun mal Spuren der Zeit.
Die Denkmalpflege sollte, denke ich, mit diesen gesellschaftlichen Spuren anders umgehen. Denkmalgeschützte Gebäude müssen außerdem auch neu genutzt werden können, sogar aus wirtschaftlichen Interessen. Das ist ja auch ein legitimer gesellschaftlicher Prozess. Einige Gebäude sollten natürlich möglichst ursprungsgetreu erhalten werden, aber insgesamt wünsche ich mir mehr Flexibilität.
Was müsste man also tun?
Wir müssen an den Rahmenbedingungen feilen, wie wir mit dem Bestand umgehen. Sowohl auf der technischen, der wirtschaftlichen, aber auch der kulturellen Ebene. Wenn da in den nächsten Jahren wirklich etwas passieren soll, geht das meiner Meinung nach am besten über gute Beispiele, wie es die Bayerische Architektenkammer mit dem Preis „Bauen im Bestand“ macht.
Sind Sie denn optimistisch, was die die Zukunft angeht?
Ja. Ich will nicht naiv sein, aber ohne Hoffnung und Optimismus würde ich nicht daran arbeiten. Ich sehe einfach als Architekt so viele Potenziale im Bestand. Für mich ist das nicht nur ein Zwang oder eine Pflicht, sondern eine enorme Chance, auf einer gestalterisch ästhetischen, aber auch ökologischen und sozialen Ebene. Die ökologische Transformation ist ja eine existenzielle Frage. Die Energie, die im Bestand steckt, ist enorm. Mit Neubau können wir das gar nicht leisten. Da muss der Bestand her. Deswegen ist das auch unsere Aufgabe als Architektinnen und Architekten. Ich sehe sogar eine Renaissance unseres Berufs. Wir können mit unserer Expertise des Entwerfens, des Gestaltens dieses Problem durchdenken und anpacken. Es ist eine wunderbare und sinnstiftende Aufgabe, die da auf uns wartet.
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