Wie rettet man ein Denkmal? - Ein Interview mit Elke Wendrich
Sprecherin des Denkmalnetzes Bayern
Selbst Denkmäler sind nicht immer vor der Abrissbirne sicher. Zwischen 2011 und 2021 gaben die Unteren Denkmalschutzbehörden allein in Bayern mehr als 800 Denkmäler zum Abriss frei. Dörfer und Städte verlieren immer mehr an historischer Bausubstanz. Elke Wendrich kämpft als Sprecherin vom Denkmalnetz Bayern an vorderster Front für den Erhalt unserer Ortsbilder. Gibt es noch Hoffnung?
Frau Wendrich, was macht eigentlich das Denkmalnetz?
Das Denkmalnetz Bayern vernetzt Bürgerinnen und Bürger, die sich für Denkmäler oder erhaltenswerte Bausubstanz in Bayern einsetzen. Es unterstützt mit gegenseitiger Information, Beratung und Erfahrungsaustausch. Es verstärkt aber auch einzelne Initiativen durch gemeinsames Auftreten in der Öffentlichkeit, bei Politik und Behörden. Inzwischen sind wir eine anerkannte Umweltvereinigung und als solche klageberechtigt. Wer es ganz genau wissen will, schaut auf unsere Internetseite oder Facebookseite oder kommt zu einem unserer Vernetzungstreffen, Ortstermine oder Jahrestreffen. In München ist der Weg zu uns besonders kurz: Im Landesverein gibt es immer am dritten Dienstag im Monat von 18 bis 20 Uhr ein Treffen der AG München.
Sind Denkmäler heute gefährdeter als früher?
Ich meine: ja. Gemeinden verstehen leider immer mehr, wie einfach es mittlerweile ist, ein Denkmal abzureißen. Es liegt auch an den immensen finanziellen Kürzungen. Bei fehlenden Zuschüssen und Förderungen ist Denkmalpflege immer schwerer vermittel- oder durchsetzbar.
Viele Gemeinden oder Bürgermeister beseitigen leerstehende Denkmäler lieber, statt sich ein gutes Nutzungs-, Finanzierungs- und Instandsetzungskonzept zu überlegen. Das ist ein Trauerspiel. Sie würden nämlich hohe Förderungen erhalten. Ich bemerke aber auch, dass nicht nur Denkmäler unter die Räder geraten, sondern insgesamt erhaltenswerte Bausubstanz, also auch die Häuser, die nicht in der Denkmalliste stehen, aber trotzdem für einen Ort ganz wichtig sind. Vieles davon hätte man früher nie abgerissen. Das tut weh, weil die Orte immer mehr an Substanz verlieren.
Warum tun diese Gemeinden das?
Das versuche ich auch immer zu verstehen. Sie berauben sich ihrer Identität. Da gibt es Menschen wie mich, die versuchen, alte Gebäude zu erhalten, während andere unbedingt ein neues haben wollen. Warum ist das so? Wo liegen die tieferen Ursachen für diese Zerstörung? Oder das permanente Neumachen-Wollen?
Im Denkmalnetz stelle ich immer wieder fest, dass viele Menschen, die sich da engagieren, in irgendeiner Weise einen Heimatverlust erlitten haben. Dadurch – und das ist jetzt nur eine Spekulation von mir – hängen sie vielleicht mehr an ihrer neuen Heimat und möchten erneute Verluste unbedingt vermeiden. Gleichzeitig wollen die, die schon immer hier waren, die ihr Dorf vielleicht auch oft als eng empfunden haben, dieses „Alte“ weghaben.
Ich glaube, die derzeitige Abrisswelle hat aber vor allem damit zu tun, dass es die letzten Jahre einfach war, an zinslose Kredite zu kommen. Man musste sich nicht beschränken oder sparen und das Alte nicht erhalten.
Mir scheint aber auch, wenige haben heute ein Verständnis davon, wie man ein schönes Ortsbild erschafft. Unsere Vorfahren hatten eine unglaubliche Sicherheit im Anlegen von Dörfern und Städten. Heute fährt man in den Urlaub nach Italien, nach Frankreich und findet alles superschön. Zu Hause beschimpft man die letzten schönen Häuser als Schandfleck, fordert ihren Abriss, statt sie zu reparieren und zu pflegen oder einfach auch mal sein zu lassen. Und diejenigen, die sie retten, belächelt man oft als naive oder gar dumme Idealisten. Dabei arbeiten sie für das Gemeinwohl. Das scheint keine Anerkennung mehr zu finden.
Wie kommt das Denkmalnetz mit dieser Abrisswelle zurecht?
Die größte Herausforderung ist, dass wir inzwischen tatsächlich bekannt sind und sich viele, die sich mit diesen Abrissen nicht abfinden möchten, an uns wenden. Teilweise schickt sogar das Landesamt für Denkmalpflege Hilfesuchende an uns weiter.
Das ist tatsächlich schwierig, weil wir ehrenamtlich arbeiten. Ich finde, das ist Arbeit, die eigentlich vom Staat erbracht werden müsste – oder wenigstens honoriert werden müsste. Am besten wäre es natürlich, wenn es uns gar nicht bräuchte. Trotzdem genieße ich die Arbeit im Denkmalnetz wegen der sympathischen gleichgesinnten Menschen sehr. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Und gemeinsame Erfolge sind mehrfach schön.
Wie rettet man eigentlich so ein altes Gebäude?
Ich versuche schon lange, ein Muster zu erkennen, damit wir eine klare Strategie zur Rettung entwickeln können, aber so richtig haben wir das noch nicht gefunden. Es braucht natürlich Leute vor Ort, die sehr aktiv sind. Manchmal hilft aber auch das nichts, wenn man zu spät dran ist oder die Gegenseite wahnsinnig stark ist. Oft stehen hinter den Abrissen ja immense finanzielle Interessen. Da werden teure PR-Agenturen bezahlt, Politiker beeinflusst und häufig auch Juristen bemüht…
Man muss hartnäckig sein und vor allem Glück haben. Ein Beispiel: Das über 500 Jahre alte Haus in der Elsassergasse 22 in Dinkelsbühl. Da kamen Manfred Sandmeir und Andrea Rosenberger am Freitag zu uns ins Denkmalnetz. Am Montag wären eigentlich die Bagger gekommen und hätten das Haus zur Seite geschoben. Ich hatte damals einen spontanen Einfall, „Wir geben 10.000 Euro dazu.“ Damit die beiden den Kaufpreis zahlen und das Gebäude retten können. Diese 10.000 Euro sind tatsächlich nie geflossen, allein das Gefühl „Es gibt noch mehr Menschen, die so denken wie wir“ war in dem Fall genug. Sie haben das Haus gekauft. Man muss also Glück haben, dass Engagierte und Rettungswillige vor Ort sind. In diesem Fall auch noch handwerklich erfahrene Denkmalschützer der Interessengemeinschaft Bauernhaus.
Immer mehr Architektinnen und Architekten sprechen derzeit von „Umbau statt Neubau“. Der Landesverein kooperiert mit dem BDA (Bund Deutscher Architektinnen und Architekten) unter dem Slogan „Die Abreißerei muss ein Ende haben!“. Denken Sie, es ändert sich gerade etwas?
Tatsächlich habe ich ein kleines bisschen Hoffnung. Ressourcenverschwendung und Nachhaltigkeit werden ein immer wichtigeres Thema. Als ich vor acht Jahren im Schlossensemble Nymphenburg den Erhalt des Institutsbaus forderte und mit grauer Energie argumentierte, musste ich diesen Begriff noch erklären. Heute kennt diesen Begriff eigentlich jeder. Gleichzeitig bin ich immer noch ein bisschen skeptisch. Es gibt Abrissmoratorien, aber es wird so viel abgerissen wie noch nie. Ich merke allerdings, dass die jüngere Architektengeneration sich mittlerweile für Denkmäler interessiert und diese Bauaufgabe schön findet. In meiner Generation war das noch eine kleine Minderheit. Also, ich hoffe sehr, es trauen sich immer mehr junge Architekten, die Leistungen früherer Architekten und Handwerker anzuerkennen und einfach nur zu reparieren und nicht allem ihre eigene Handschrift verpassen zu müssen. Ich hoffe, wir finden zurück zu einer handwerklichen Reparaturkultur.
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