Pressemitteilung: Landesverein befürwortet eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit Bräuchen und Traditionen

Vom Wert der Veränderung

Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V. befürwortet eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit Bräuchen und Traditionen

In Memmingen erhitzt derzeit wohl keine Diskussion die Gemüter mehr als die Frage, ob Frauen in Zukunft in die Gruppe der Stadtbachfischer aufgenommen werden dürfen oder nicht. Eine Klägerin hatte vor dem Amtsgericht durchgesetzt, dass Frauen aktiv als Brauchträgerinnen teilnehmen dürfen. Zuvor waren ihre vereinsinternen Anträge auf Satzungsänderung gescheitert. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts ist der veranstaltende Verein nun in Berufung gegangen. Ende Juli wird das Landgericht Memmingen darüber urteilen.

Der Bayerische Landesverein für Heimatpflege ruft zu Gelassenheit auf. „Ein etwas entspannterer Umgang mit Bräuchen und Traditionen, bei denen ohnehin häufig das Spiel, das Miteinander und die Lebensfreude im Mittelpunkt stehen, täte uns allen gut“, sagt Dr. Daniela Sandner, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Landesvereins. „Wir müssen erkennen, dass in der Veränderung kein Verlust liegt – sondern ein Gewinn.“ Bräuche und Traditionen böten durch ihre soziale Dimension die Chance, eine Gesellschaft neu zu denken: geschlechtergerecht, integrativ und inklusiv zum Beispiel. „All diese Aspekte können Bräuche nämlich auch bereitstellen“, erläutert die Volkskundlerin.

Die Annahme, dass sich Bräuche nicht verändern würden, sei ein historisches Missverständnis, erklärt ihr Kollege Michael Ritter, Referent des Fachbereichs „Brauch, Tracht, Sprache“ im Landesverein. Viele Bräuche seien über Jahrhunderte hinweg nur deswegen lebendig geblieben, weil sie sich immer wieder an sich wandelnde Verhältnisse – beispielsweise an neue rechtliche oder herrschaftliche Bedingungen – angepasst hätten. „Gesellschaftlicher Wandel zwingt auch Bräuche und Traditionen zur Veränderung“, sagt Ritter, „heute geschieht dies etwa durch das Aufbrechen traditioneller Gesellschaftsstrukturen, beispielsweise durch die zunehmend gleichberechtigte Teilhabe der Frauen in allen Bereichen des sozialen Lebens.“

Viele Bräuche reflektieren heute deren vereinsmäßige Institutionalisierung im 19. oder frühen 20. Jahrhundert. Es verwundert laut Daniela Sandner nicht, dass sie damit auch die Geschlechterverhältnisse der (in diesem Falle) bürgerlichen Gesellschaft widerspiegeln. Diese folgte einer rigiden Geschlechtertrennung vor allem im öffentlichen Bereich und einer klaren Zuweisung von männlichen und weiblichen Aufgaben und Tätigkeiten.

Dem Bayerischen Landesverein für Heimatpflege ist bewusst, dass Menschen in einer postmodernen, „posttraditionalen“ Gesellschaft Bräuche und Traditionen zunehmend hinterfragen. Die Erklärung „Weil es immer schon so war“ genüge heute nicht mehr und sie sei auch Kindern nur noch schwer vermittelbar. Sinnhaftigkeit und Brauchgestaltung dürfen und sollen in Frage gestellt werden, auch wenn das Selbstbestimmungsrecht der Vereine zweifellos ein hohes Gut darstellt, sagt Dr. Rudolf Neumaier, seit 1. Juli Geschäftsführer des Landesvereins. „Idealerweise können wir gemeinsam eine Antwort finden, die der vielgestaltigen Lebenswirklichkeit in Bayern Rechnung trägt.“

Im Alltag seien die Menschen vielerorts in ihrer kreativen Auseinandersetzung mit Traditionen ohnehin schon wesentlich weiter, etwa wenn in Kindergärten muslimischen Kindern die Teilnahme an einem weihnachtlichen Krippenspiel ermöglicht werde.

Die Tradition des Memminger Bachausfischens selbst ist wohl bis in das Jahr 1597 zurückzuverfolgen. Jedoch wurde um die Jahrhundertwende das Fest neu organisiert und der sogenannte Fischertagsverein im Jahr 1900 gegründet. Eine Vereinssatzung gibt es seit 1931.

 

Hintergrund

Der Bayerische Landesverein für Heimatpflege e.V. kümmert sich seit seiner Gründung im Jahr 1902 um Heimat-, Denkmal- und Baupflege, Volksmusik, Bräuche, Trachten und Mundart in Bayern. Das Leitbild des Landesvereins, die Heimat zu schützen, bedeutet nicht nur, sie zu bewahren und zu pflegen, sondern sie auch verantwortungsvoll weiterzuentwickeln.

In diesem Sinne hat sich die Heimatpflege den gesellschaftlichen Veränderungen und Herausforderungen der Gegenwart zu stellen und den vorhandenen Werten neue hinzuzufügen.

 

Kontakt

Dr. Daniela Sandner

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

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