Pressemitteilung: Verschwundene Heimat: Landesverein für Heimatpflege lässt „Abriss des Jahres“ wählen
Inspiriert vom „Tor des Jahres“ im Fußball sucht der Bayerische Landesverein für Heimatpflege den „Abriss des Jahres“. Dazu präsentiert er auf seiner Internet-Seite eine Auswahl von zwölf Gebäuden, unter denen der bitterste Verlust gewählt werden kann. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern verlost der Landesverein drei Exemplare des soeben erschienenen Buches „Das Burggütl“, das die Geschichte eines Denkmals erzählt.
Eine Abstimmung ist möglich bis zum 09. Januar. Geben Sie Ihre Stimme per E-Mail ab an:
Mit dieser Aktion will der Heimatpfleger-Verband darauf hinweisen, dass der Denkmalschutz in letzter Zeit ins Hintertreffen geraten ist und allzu oft ignoriert wird. „Wir beobachten mit großer Sorge, dass Denkmäler und auch ältere Gebäude, die nicht auf der Denkmalliste stehen, viel zu stiefmütterlich behandelt werden“, sagt Dr. Rudolf Neumaier, Geschäftsführer des Landesvereins. „Dabei ist unsere Baukultur für Bayern genauso bedeutend wie unsere Bräuche, Mundarten und Trachten. Das wird uns durch zahlreiche Hilferufe aus allen Teilen Bayerns gespiegelt, wenn sich Menschen an uns oder an die bei uns angesiedelte Initiative Denkmalnetz Bayern wenden, um den Umgang mit einzelnen Denkmälern zu beklagen und um sie noch zu retten.“ Bei Eigentümern und Investorinnen, aber auch bei Behörden und in der Politik fehle leider immer wieder das Bewusstsein für die große kulturelle Bedeutung von Denkmälern. Man lasse erhaltenswerte Gebäude verfallen, bis sie nicht mehr zu retten sind.
Vor fast 50 Jahren trat in Bayern das Denkmalschutzgesetz in Kraft. Dr. Olaf Heinrich, der Vorsitzende des Landesvereins, setzt sich dafür ein, dass die Denkmaldefinition erweitert wird: „Wenn zum Beispiel auch identitätsstiftende Gebäude auf die Denkmalliste kommen können, bieten sich den Eigentümern solcher Immobilien wesentlich bessere Chancen auf finanzielle Förderung.“ Neben dem baukulturellen Aspekt betont der Vereinschef die ökologische Bedeutung des Erhalts von Gebäuden. „Wir vergeuden oft ohne Not sehr viel wertvolle Energie, wenn wir bestehende Bausubstanz vernichten.“ Zusammen mit dem Bund deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) hat der Bayerische Landesverein für Heimatpflege in diesem Jahr eine neue Bau-Moral gefordert: „Die Abreißerei muss ein Ende haben!“ Als Bürgermeister von Freyung im Bayerischen Wald praktiziert Olaf Heinrich die Belebung leer stehender Gebäude par excellence. Jüngst hat sein Stadtrat den Kauf eines Gebäudekomplexes aus dem 19. Jahrhundert beschlossen, um dort eine Genuss-Manufaktur einzurichten.
Nach dem Abriss des Jahres wird der Landesverein im Januar zwölf Denkmäler vorstellen, um die man sich im kommenden Jahr Sorgen machen muss.
In dem Buch „Das Burggütl“ beschreiben die Heimatpflegerin Dr. Birgit Angerer und die Zeichnerin Stefania Peter kindgerecht ein historisches Gebäude in der Oberpfälzer Stadt Pfreimd. Es ist im November erschienen, Herausgeber ist der Landesverein für Heimatpflege. Dieses Buch soll die breite Bevölkerung und auch schon den Nachwuchs für den Wert alter Gebäude sensibilisieren. „Wie unsere Abriss-Liste zeigt, ist eine Sensibilisierung dringend geboten“, sagt Rudolf Neumaier.
Ein Jahresrückblick in zwölf Abrissen
(Die Reihenfolge stellt keine Wertung dar.)
- Außenanlage des DAV-Kletterzentrums München Süd, kein eingetragenes Baudenkmal
Eine Aufnahme der Kletteranlage in die Denkmalliste wurde leider aufgrund des zu geringen Alters (erbaut 1989) abgelehnt, obwohl der Architekt und eine Sachverständige die bautechnisch hohe Qualität der Betonanlage bestätigten. Einem Teilabriss stand somit im Februar 2022 nichts entgegen.
Es soll nun dort eine Boulderhalle entstehen, obwohl auch die Freianlage durch die Hanglage windgeschützt und dadurch nahezu ganzjährig nutzbar war.
- Wohnhaus Berger Vorstadt 17, Donauwörth, kein eingetragenes Baudenkmal
Auf der Katasteruraufnahme des Jahres 1813 war das Gebäude bereits lagegleich verzeichnet. Die Umfassungswände der Unterkellerung gehörten wohl aber zu einem spätmittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Vorgängerbau. Ein Eintrag in die Denkmalliste wurde abgelehnt, weil die überlieferte Bausubstanz heute aufgrund zahlreicher Überformungen nicht mehr aussagekräftig genug war. Es folgte der Abriss im November 2022.
An gleicher Stelle wird nun ein Neubau mit fünf Wohneinheiten entstehen.
- Verdi-Heim, Kochel, kein eingetragenes Baudenkmal
Das Verdi-Heim wurde im Jahr 1930 von Emil Freymuth im Bauhaus-Stil erbaut und verfügte über eine wechselhafte Geschichte. Eine Aufnahme in die Denkmalliste wurde zweimal abgelehnt, der renommierte Architekt Prof. Florian Nagler wurde kurzfristig für eine Stellungnahme herangezogen – leider erfolglos. Er bedauert den Abriss der „qualitätvollen Bausubstanz“ im April 2022.
Der Grundeigentümer, ein Immobilieninvestor aus Straubing, wird auf die Fläche vermutlich ein Hotel bauen.
- Denkmalgeschütztes Wohnhaus in Schwabach, Drillerstraße 2, Denkmal Nr. D-5-65-000-556
Ein Privateigentümer hat im April/Mai 2022 in Schwabach ein denkmalgeschütztes Haus abreißen lassen. Ihm droht nun eine Geldbuße. Das Einfamilienhaus wurde im Jahr 1933 von Alwin Carl erbaut.
Der Vorfall erinnert stark an den illegalen Abriss des Uhrmacher-Häusls (München). Der Eigentümer wurde hier im Juli 2022 zu 132.500 Euro Geldstrafe verurteilt und muss das kleine Haus in seinen historischen Gebäudemaßen wieder aufbauen. Immerhin!
Wie wird es wohl in Schwabach weitergehen?
- Uppenborn-Kraftwerk, Wang/ Lkr. Freising, kein eingetragenes Baudenkmal
Von 1907 bis etwa 1930 war das Uppenborn-Wasserkraftwerk die erste größere Anlage, die Strom für München erzeugte. Es ist damit unbestreitbar ein Industriedenkmal, steht als solches aber nicht auf der Denkmalliste. Im November schließlich ließen die Stadtwerke München (SWM) das Kraftwerk abreißen, obwohl es von den Nachbarn, zwei Biolandwirten, ein Kaufangebot gab. Sie wollten das Kraftwerk als Denkmal erhalten. Ihr beispielhaftes Engagement war leider vergebens.
Eklatant ist außerdem die brachiale Gewalt des Abrisses, der auch historische Treppengeländer, Kastenfenster und Fußböden zum Opfer fielen: historische Ausstattungsstücke werden heutzutage in aller Regel fachgerecht ausgebaut und weiterverkauft.
Die nun entstandene Freifläche soll als „Ausgleichsfläche“ genutzt werden – die Landwirte befürchten aber den Bau einer großflächigen Photovoltaik-Anlage. Sieht so der Klimaschutz der Zukunft aus?
- Schloss Mengkofen/ehemaliges Kloster der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz, Teilabriss der nicht denkmalgeschützten Gebäudebestandteile, Denkmal Nr. D-2-79-127-1
Als Baudenkmale und damit vor Abriss geschützt sind lediglich das Hauptgebäude des Schlosses sowie die Ummauerung. Der rechte Seitenflügel aus den 1950er Jahren wurde 2022 vollständig abgerissen.
Das Ensemble ist mittlerweile im Besitz einer Rehaklinik, die gesamte Schlossanlage soll zukünftig baulich in den Klinikkomplex integriert werden. Auf den nun freien Flächen befinden sich vorübergehend Parkplätze, in Zukunft soll dort aber ein Areal für Kulturveranstaltungen entstehen.
- Alte Felsenkeller/Radrennbahn „Reichelsdorfer Keller“ Nürnberg, kein eingetragenes Denkmal
Die Felsenkeller wurden Ende des 19. Jahrhunderts von den Besitzern der Reichelsdorfer Brauerei Schalkhauser zur Lagerung von Bier angelegt; ab 1885 betrieben sie auf den Kellern eine Kellerwirtschaft, die mit Eröffnung der nahegelegenen Radrennbahn (1904) und des Familienbads an der Rednitz (1920) jeweils einen enormen Aufschwung erfuhr.
Der jetzige Eigentümer, ein Investor, hat nun nach der Rodung eines Großteils des alten Baumbestands mit der Bebauung des Geländes mit Wohnblocks begonnen.
- Hotelgebäude/Gasthof Segringer Straße 4 in der Kernzone der Dinkelsbühler Altstadt, Einzeldenkmal im Ensemble, Denkmal Nr. D-5-71-136-516
Das im Kern hochmittelalterliche Gebäude wurde im Jahr 2021 durch einen Brand stark beschädigt. Die Eigentümergemeinschaft erhielt vom Oberbürgermeister die Erlaubnis zum Abbruch des Giebels, obwohl ein Gutachten feststellte, dass dieser zu erhalten sei.
Das Dachgeschoss und der hintere und Teile des vorderen Giebels, welcher unbedingt erhaltenswert ist, wurden im Sommer 2022 abgerissen. Denkmalschützer fürchten, dass es bald zum Totalabbruch kommen könnte.
- Ehemaliges „Judenhaus“ in Krumbach, Hohlstraße 3-5, kein eingetragenes Denkmal
Vor dem Abriss dieses geschichtsträchtigen Gebäudes meldete sich der örtliche Heimatverein zu Wort: Bei ihm habe sich ein Investor gemeldet, der das Gebäude sanieren würde. Darauf gingen weder Eigentümer noch Stadtverwaltung ein. Im Herbst kam die Abrissbirne.
Das Gebäude aus dem Jahr 1829 war als Wohn- und Geschäftshaus lange im Besitz der jüdischen Familie Oettinger. Die Nationalsozialisten machten es 1939 zu einer Sammelstelle der letzten 14 Krumbacher Juden vor ihrer Ermordung. An dieser Stelle soll nun ein Wohnkomplex entstehen. Der Entwurf lässt Übles befürchten: Der Neubau wird sich mit einem eingetragenen Baudenkmal in der Nachbarschaft ungefähr so gut vertragen „wie ein Schlager von Florian Silbereisen neben einer Mahler-Sinfonie“.
- Stahlwerk Maxhütte-Haidhof Sulzbach-Rosenberg, Denkmal Nr. D-3-71-151-173
Die Geschichte der Maxhütte geht bis ins Jahr 1851 zurück. Der Betrieb wurde 2002 eingestellt und das Rohrwerk schließlich an eine Unternehmensgruppe versteigert. Wegen seines Alters und seiner teilweise einmaligen technischen Ausstattung besitzt das traditionsreiche Stahlwerk hohen Denkmalwert als Industriedenkmal.
Einzelne Teile des Werks werden kontinuierlich „rückgebaut“, das heißt abgerissen.
- Kaufhaus Hohenleitner, Garmisch, kein eingetragenes Denkmal
Das Haus wurde in den Jahren 1735/36 errichtet und immer wieder erweitert und umgestaltet. Daher wurde eine Aufnahme in die Denkmalliste von Seiten des Landesamtes abgelehnt. Der Abriss, der durch die Prüfung kurzzeitig unterbrochen wurde, konnte demnach im Juli 2022 fortgesetzt werden.
An selbiger Stelle sollen nun Wohnungen und eine Gewerbeeinheit entstehen. Involvierte Denkmalschützer befürchten einen Neubau im „Jodelstil“.
- Alte Landwirtschaftsschule an der Bismarckstraße in Bruck, kein eingetragenes Denkmal
Das Schulgebäude an der Bismarckstraße stammt vom Architekten Adolf Voll. Es wurde Anfang der Fünfzigerjahre errichtet. Ein wohl mutwillig gelegter Wasserschaden machte das Gebäude zuletzt unnutzbar.
Die Schule wird gerade abgerissen. An ihrer Stelle sollen dort Container-Anlagen aufgestellt werden. Mit dem Gebäude verschwindet auch das Fassadenbild des NSDAP-Mitglieds Karl Sonner (1889-1970).
Wir bedanken uns beim Denkmalnetz Bayern, das uns bei dieser Sammlung geholfen hat.
Hintergrund
Der Bayerische Landesverein für Heimatpflege e.V. ist seit seiner Gründung im Jahr 1902 bemüht, sichtbare Werte des natürlichen und gebauten Erbes zu bewahren und für die Zukunft weiterzuentwickeln – ohne die Vergangenheit zu verklären, sondern mit dem Wissen um heutige Landschaften und Siedlungen. Der Erhalt und die Neubelebung historischer Bausubstanz stellen einen wesentlichen Beitrag innerhalb der gesamten heimatpflegerischen Arbeit dar.
Das Denkmalnetz Bayern ist institutionell und organisatorisch beim Landesverein angesiedelt. Es ist ein offenes Bündnis von interessierten Bürgern, die ein gemeinsames Ziel haben: den Erhalt von Denkmalen und überlieferten Orts- und Stadtbildern in Bayern.
Bildmaterial
DAV Kletteranlage Karin Nobs (1), Bildautorin: Karin Nobs.
DAV Kletteranlage Karin Nobs (2), Bildautorin: Karin Nobs.
Donauwörth Gustav Dinger vorher, Bildautor: Gustav Dinger.
Donauwörth Gustav Dinger nachher, Bildautor: Gustav Dinger.
Kochel Verdi Birgitt Borio (1), Bildautorin: Birgitt Borio.
Kochel Verdi Birgitt Borio (2), Bildautorin: Birgitt Borio.
Wang Kraftwerk Johann Zehentner (1), Bildautor: Johann Zehentner.
Wang Kraftwerk Johann Zehentner (4), Bildautor: Johann Zehentner.
Landwirtschaftsschule Susanne Poller, Bildautorin: Susanne Poller.
Landwirtschaftsschule vor Abriss Susanne Poller, Bildautorin: Susanne Poller.
Ansprechpartner
Dr. Rudolf Neumaier, Geschäftsführer
rudolf.neumaier@heimat-bayern.de
Tel. 089 286629-13 oder -0 (Zentrale)
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